HIGHLIGHT

April 2020

Maison Capitol: Neuer Glanz für Berner Stadtpalais

Es ist der grösste bauliche Eingriff in der Unteren Altstadt von Bern seit Jahrzehnten: Das geschichtsträchtige Haus, welches das ehemalige Kino Capitol beheimatete, wird in einer gut zweijährigen Bauzeit zurück- und neu aufgebaut. Das ist keine leichte Aufgabe, denn Teile der Liegenschaft stehen unter Denkmalschutz und die Einbettung in die spätmittelalterlichen Strukturen des Bestandes erfordert architektonisches Fingerspitzengefühl. Dank der umsichtigen Planung der HIG Immobilien Anlage Stiftung und dem faszinierenden Entwurfsansatz von Buol & Zünd, Generalplaner/beauftragtes Architekturbüro, entsteht ein neuer Stadtbaustein, der dem historischen Kontext würdig ist.

Bereits 1983 hat die Unesco die Altstadt von Bern in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen. Bern sei seit der Gründung im 12. Jahrhundert «ein positives Beispiel dafür, wie eine Stadt ihre mittelalterliche Struktur beibehalten kann». Die Gebäude wurden stets nach dem gleichen Muster gebaut: Ein repräsentatives Vorderhaus an der Gasse, das mit einer Galerie über einen Hof mit dem dazugehörigen Hinterhaus verbunden war. Die Kontinuität dieser Bauform ist tatsächlich bemerkenswert: Erst die Bauten des 20. Jahrhunderts führten stellenweise zu einem Bruch dieser Tradition. Eines der ersten Häuser, die einen solchen Bruch darstellen, ist das Haus an der Kramgasse 72.

Luftaufnahme der Altstadt von Bern: Die Bauweise aus dem Spätmittelalter prägt das Stadtbild noch heute. Das grossflächige Bauvolumen des «Capitols» in der Bildmitte bricht diese Tradition.

Auflösung und Wiederherstellung der Stadtstruktur

In den Zwanzigerjahren hat der Architekt Hans Weiss das Gebäude bis auf die Fassade zur Gasse und «einige brauchbare Pfeilerüberreste» abgebrochen, wie die Schweizerische Bauzeitung 1929 schrieb. An seiner Stelle baute er den Lichtspielsaal «Capitol» als blockübergreifendes Volumen, das einst wie ein Fremdkörper in der kleinteiligen Stadtstruktur gewirkt haben muss. Es diente ursprünglich sowohl als Lichtspiel- und Varietétheater als auch als Konzert- und Vortragssaal. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde es dann in ein reines Kino umgebaut.

Die HIG Immobilien Anlagestiftung hat diese und die benachbarte Liegenschaft 2015 erworben, mit dem Ziel, diese wieder zum ursprünglichen Glanz zurückzuverhelfen und so für den Erhalt dieser geschichtsträchtigen Gebäude zu sorgen. HIG ist sich der Verantwortung im Umgang mit diesen historisch wertvollen Altstadtliegenschaften bewusst und ist gewillt, diese wahrzunehmen.

Die Bestandteile, die aus dem Spätmittelalter erhalten blieben, wurden unter Denkmalschutz gestellt. Dem Lichtspielhaus, das damals gebaut wurde, müssen aber dennoch hohe architektonische Qualitäten angerechnet werden. Wäre das Gebäude seither nicht mehrfach unvorteilhaft umgebaut worden, würde es mittlerweile auch unter Denkmalschutz stehen.

Das Büro für Architektur, Denkmalpflege und Baugeschichte, ADB Siegfried Möri, Burgdorf, analysierte in einer Güterabwägung, was höher zu gewichten ist: Die gewachsenen Stadtstrukturen aus dem 12. Jahrhundert, oder der Einbau des «Capitols» in seiner heute noch fassbaren Substanz und kam dabei zu folgendem Entscheid: Die Strukturen vor dem Einbau des «Capitols» sollen erhalten und geschützt und die ursprüngliche Stadtstruktur wiederhergestellt werden.

Keine einfache Entscheidung: Das Wandbild von Fritz Traffelet, das keine kunsthistorische Bedeutung hat, wird in Absprache mit dem Denkmalschutz zugunsten des Gesamtprojekts aufgegeben.

Kellergeschoss aus dem 12. Jahrhundert dient als Fundament für heutige Gestaltung

In diesem Spannungsfeld von Zeitgeschichte, historischen Fragmenten, Bauen im Bestand und Vorgaben zur Wirtschaftlichkeit reichten vier Architekturbüros ihre Projektideen für einen Ersatzneubau ein. Das Rennen machte Buol & Zünd, die seit ihrem Erstlingswerk – dem Atriumhaus in Therwil – mit Bauen im historischen Kontext vertraut sind. Ihr Entwurf für die Liegenschaften an der Kramgasse basiert auf den Strukturen des Kellergeschosses, das seit dem Spätmittelalter erhalten blieb. Darauf bauen sie die Grundstrukturen ihres Entwurfs, der mit zwei Gebäuden und einem Innenhof die ursprüngliche Stadtstruktur wiederherstellt. Der offen gehaltene Innenhof mit einem Brunnen im Zentrum bildet das architektonische Herzstück und wird nicht nur aus historischer Sicht begründet, sondern steigert auch die Wohnqualität. Das Projekt sieht Verkaufsflächen im Erdgeschoss und unterschiedliche Wohnungen von hoher Qualität ab dem ersten Obergeschoss vor. Nach Abschluss des Studienauftrages im Sommer 2017 wurde das Siegerprojekt in enger Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege weiterbearbeitet. Die Baueingabe erfolgte Anfang Juni 2018.

Analytisches Entwerfen auf Basis der Kellergeschosse: Die historische Stadt prägt den Bau bis tief in den Innenraum.

Positive Stimmung dank transparenter Information

Seit Anfang 2020 ist die Baueingabe rechtskräftig und der Rückbau hat kürzlich begonnen. Die HIG gibt sich grosse Mühe, um die Nachbarschaft so wenig wie möglich zu tangieren. So wird etwa der Kran nicht in der Rathausgasse, sondern im Innern der Baustelle platziert. Zudem beginnen aus Rücksicht auf die Anwohnerinnen und Anwohner die Arbeiten erst um 8 Uhr morgens. Das trägt zu einem guten Einvernehmen mit der Nachbarschaft bei – einem Anliegen, das der HIG wichtig ist. Die Bauherrschaft pflegte während dem ganzen Planungsprozess eine proaktive und transparente Informationspolitik, was trotz Schliessung des Altstadtkinos zur positiven Akzeptanz gegenüber dem Vorhaben beigetragen hat.

Auf Spurensuche unterhalb des Kinobodens

Vor dem anstehenden Komplettumbau hat der Archäologische Dienst des Kantons Bern umfassende Untersuchungen vorgenommen. Dabei stiess er einige Meter unterhalb des Kinobodens auf die bisher ältesten datierten Bauwerke der Stadt – eine Zisterne, in der Wasser gesammelt wurde, und eine Brandmauer aus dem Jahr 1200. Die Funde wurden dokumentiert und Ende 2019 durch Führungen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.